Phänomen Bugchasing – Gefährlicher Trend oder nur ein Mythos?

[Gastartikel]

Seit mehr als zehn Jahren beschäftigen sich Forscher mit der Frage, ob es tatsächlich Menschen gibt, die eine Infektion mit HIV nicht nur in Kauf nehmen, sondern tatsächlich bewusst herbeiführen wollen und, wenn es sie gibt, was sie antreibt und wie zahlreich sie sind. Eine eindeutige Antwort scheint bis heute noch nicht gefunden worden zu sein.

Bugchasing: in der Welt der “Pozzer” und “Giftgiver
Der im englischen Sprachraum verbreitete Ausdruck “Bugchasing“, vom englischen “bug” für “Bazillus” und “to chase” für “jagen” oder “verfolgen” lässt sich wohl am ehesten als “die Jagd nach dem Virus” übersetzen. Im Deutschen ist auch der Ausdruck “pozzen” oder “Pozzing” gebräuchlich – abgeleitet von dem Wort “positiv” in “HIV positiv“. Der Pozzer (oder im Englischen auch “Giftgiver“, der “Schenkende” genannte) ist dabei derjenige, der bereits mit HIV infiziert ist und willentlich und wissentlich mit dem “Bugchaser“, dem bisher Uninfizierten der sich infizieren möchte, ungeschützten Geschlechtsverkehr hat.
Unterscheiden muss man bereits hier deutlich zwischen der Motivation: Zweifellos gibt es Menschen die ungeschützten Geschlechtsverkehr haben, vielleicht sogar bewusst mit HIV-infizierten Partnern und eine mögliche Ansteckung dabei zumindest in Kauf nehmen – ein Bugchaser hingegen möchte die Infektion ganz bewusst herbeiführen; es ist sein klares Ziel sich selbst mit HIV anzustecken.
Bugchasing ist immer wieder Thema in den Medien und von verschiedenen wissenschaftlichen Studien, vor allem rund um die Zeit des jährlichen Welt-AIDS-Tages am 1. Dezember wird dieses Phänomen gerne aufgegriffen. Ob es die sogenannten Bugchaser aber tatsächlich gibt, scheint niemand so genau zu wissen.

Die Suche nach den Bugchasern – zwischen Statistiken, Studien und der Realität
Sich selbst mit einer Geschlechtskrankheit anstecken zu wollen, noch dazu mit HIV, dürfte für die meisten Menschen ein schwer bis überhaupt nicht nachvollziehbarer Wunsch sein (mehr zur Krankheit Aids). So haben es sich auch einige Wissenschaftler schon zur Aufgabe gemacht, die mögliche Motivation hinter dem sogenannten Pozzing zu enträtseln – doch dafür muss man die Bugchaser erst einmal finden. Bereits im Jahre 1999 erschien der erste wissenschaftliche Artikel über das Phänomen des Bugchasings und seitdem gab es mehrere Studien, Arbeiten und Fernsehbeiträge zum Thema. Wirkliche Ergebnisse wurden aber kaum erzielt.
An einer 2006 durchgeführten Befragung nahmen über 1000 Menschen teil, die sich im Internet selbst als Bugchaser und Giftgiver bezeichnet hatten – ob diese aber auch wirklich tatsächliche Erfahrungen mit dem Thema hatten, konnte nicht bewiesen werden und darf zumindest bezweifelt werden. Denn kaum einer von ihnen konnte einen psychologischen oder sozialen Beweggrund für ihr angebliches Verhalten angeben. Die meisten nannten den erotischen Kick als Hintergrund, den Wunsch nach einem sexuellen Extrem. Und wie bei vielen sexuellen Extremvorstellungen ist – gerade im Internet – die Zahl derer die sich ihren Fantasien hingeben ohne jemals reale Erfahrungen gemacht zu haben (oder je machen zu wollen), besonders hoch. So ist nicht auszuschließen, dass alle oder zumindest ein Großteil der Befragten sich nur in ihren sexuellen Fantasien als Bugchaser oder Giftgiver sahen und diesen extremen Schritt in der Wirklichkeit nie gehen würden.
Oft wurde versucht wirkliche Bugchaser aufzuspüren, zuletzt auch in Deutschland im Rahmen der TV-Dokumentationsreihe “Wild Germany“, in welcher der Reporter vor allem die Schwulen- und Lesbenszene nach Bugchasern und Giftgivern durchforstete. Wie so viele andere vor ihm wurde aber auch er nicht fündig. Nur auf dem Papier oder im Internet scheint es die Bugchaser zu geben, als Thema von Studien, Artikeln und Beiträgen für Zeitungen und Fernsehen – in der Realität sucht man sie bisher vergeblich.

Echte Gefahr oder modernes Märchen?
Gibt es Bugchaser oder gibt es sie nicht? Trotz der ergebnislosen Forschungen in der Vergangenheit lautet die Antwort wahrscheinlich: Ja, es gibt sie wirklich. Es ist nicht verwunderlich, dass ein Bugchaser oder ein Giftgiver, der sich durch die Ansteckung eines anderen Menschen mit HIV sogar strafbar machen würde, selbst wenn es mit dessen Einverständnis geschieht, nicht vor eine Fernsehkamera trauen würde. Und so absurd und selbstzerstörerisch der Wunsch nach einer HIV-Infizierung und damit einer möglichen Erkrankung an AIDS erscheinen mag, so muss man sich doch bewusst machen, dass selbst die extremsten Praktiken – bis hin zu sexuell motiviertem Kannibalismus – manchmal, wenn auch noch so selten, ausgelebt werden.

Allerdings: Die Gruppe der wirklichen Bugchaser und Giftgiver dürfte verschwindend gering sein. Selbst wenn es sie geben sollte, ließe sich kaum von einem “Trend” sprechen; eher ist es ein Phänomen, das vor allem in den Köpfen der Menschen existiert und in der Realität kaum vorkommt.

(Niko)

10 Comments

  1. Marc said:

    Irgendwie habe ich das Gefühl, dass Du in letzter Zeit thematisch ungewöhnliche Gastartikel veröffentlichst.

    10. Mai 2013
  2. Alex said:

    Hi Marc

    Da magst du Recht haben. Wobei die vorigen mit Podcasts und Apple Mac Pro doch recht normal waren, oder?! ;)
    Was den jetzigen Artikel angeht, das finde auch ich krank und ich wäre gar nicht erst auf die Idee gekommen, darüber zu schreiben. Aber das bringen Gastartikel eben mit sich und da es die Rubrik “Medizin” bereits gab, passte es ja auch. Offenesblog ist eben offen für alle(s) und ich selbst las auch schon einmal in einem Artikel, dass sich ein Arzt einmal freiwillig mit dem HIV Virus ansteckte. Im Sinne der Medizin, Wissenschaft und zu Testzwecken.
    Leute gibt es. Kranke Welt.

    Dennoch ein friedliches und gesundes Wochenende! ;)

    10. Mai 2013
  3. 1) ungewöhnlich ist allemal besser als gewöhnlich – das gibt es allenthalben im Überfluß…

    2) “ob es tatsächlich Menschen gibt, die eine Infektion mit HIV nicht nur in Kauf nehmen, sondern tatsächlich bewusst herbeiführen wollen”

    Da bräuchte es gar keine Forscher, das hätte ich auch vorher gewußt. Es gibt Leute, die 10 andere mit der MPi erschießen, es gibt Leute, die sich mit einer Schrotflinte selbst in den Mund schießen, es gibt den Kim, der Atomraketen schießen will, die wahrscheinlich gar nicht starten – also warum sollte mich das mit dem Aids wundern?

    Eines gibt es nämlich nicht: “heile Welt” egal, wie man das definiert.

    10. Mai 2013
  4. Sabienes said:

    Andere spielen Russisches Roulette oder essen Kugelfische.
    Eigentlich ist mir das nicht so ganz fremd. Mit 7 wollte ich unbedingt testen, ob ich mich wirklich bei einer Freundin mit Windpocken anstecken könnte, bis mich deren Mutter aus dem Zimmer geschmissen hat.
    Windpocken bekam ich tatsächlich, aber erst mit 32.
    Und das war nicht lustig.
    Sabienes

    10. Mai 2013
  5. Niko said:

    Schön, dass alle das Phänomen so gelassen sehen ;) …ihr habt schon recht – es gibt nichts, was es nicht gibt.

    Wissen sollte man aber schon darüber, auch wenn man bedenkt, was eine lebenslange AIDS-Medikation das Gesundheitssystem kostet. Ohne den Moralapostel spielen zu wollen – aber ich bin der Meinung, dass, sollte man mal einem Bugchaser begegnen, man ihm mal dringend ins Gewissen reden müsste.

    13. Mai 2013
  6. @Niko: “…was eine lebenslange AIDS-Medikation das Gesundheitssystem kostet…”

    Hmm, da kommt mir ein makabrer Gedanke: wenn man den zu der o.a. Schrotladung in den Mund überreden könnte – kostengünstiger wäre das sicher. Es kämen ja nur die Kosten für die Schrotpatrone in Betracht.

    Die Schrotflinte könnte der “Überreder” ja wieder mitnehmen… :evil:

    13. Mai 2013
  7. Niko said:

    @JürgenHugo
    Du hast Recht – immer wirtschaftlich denken. Und die Kosten für die Schrotpatrone werden letztendlich durch die entfallenen Kosten für das Kondom kompensiert. Problem gelöst.

    Nein aber im Ernst (bevor hier noch jemand wegen zweifelhaftem Humor gelyncht wird) – du hast schon recht, wenn du andeuten willst, das das Kostenargument bei einer Krankheit wie AIDS unangebracht ist. Aber ich konnte es mir nicht verkneifen. Beim Bugchasing wird ja nicht fahrlässig, sondern ganz bewusst gehandelt. Also warum sollte man sich nicht über die finanziellen Konsequenzen mal Gedanken machen? Und ein Bugchaser muss mit solchen Fragen wohl zurecht rechnen.

    13. Mai 2013
  8. Ne, ne – ganz so ein Gutmensch bin ich nun doch nicht. “Unangebracht” bei Aids, wenn derjenige da nix für kann.

    Wer aber sehenden Auges und bewußt…

    13. Mai 2013
  9. Richard said:

    Das ist so eine Sache! Manche glauben gar nicht ob diesen schlimmen Virus wirklich gibts! Es wird auch gesagt dass Leute Angst haben und dann Tableten nehmen und genau die zerstören den Mensch! Hmm…

    @Alex! finde schön, dass du verschiedene Themen erlaubst! Überlege auch mal wieder bei dir ein Gastbeitrag zu veröffentlichen! Muss aber erst Zeit dafür haben!

    Viele Grüße Richard

    15. Mai 2013
  10. Alex said:

    Hallo Ihr alle

    Auf die Kommentare zum Artikel, ist ja bereits der Autor selbst, Niko eingegangen.

    – Richard, zu deinem Kommentar. Na klar, werden hier verschiedenste Themen zugelassen. Schließlich heißt es hier: offenesblog.de – offen für alle(s)!
    Wenn du Zeit findest, bin stets dankbar für Gastartikel, so fern sie denn hier in die Kategorien reinpassen.

    Euch allen eine gute und verkürzte Arbeitswoche!

    21. Mai 2013

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